Sozistunde 12955 - Demokratiedefizite der EU


Unterrichtsmitschrift von Björ Oldach am 20.1.2019



Videotipp: Hat die EU ein Demokratiedefizit? - Europawahl 2019

Wir sprechen u.a. mit deutschen Abgeordneten im EU-Parlament, um deren Sicht auf das Thema zu verstehen: - Julia Reda (Piraten) - Rainer Wieland (CDU) - Ismail Ertug (SPD) - Christina Altides (Youth Outreach Unit der EU)

https://youtu.be/S0wqAYO5_kk?t=360


 

Das Demokratiedefizit der Europäischen Union

 

Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratiedefizit_der_Europäischen_Union

 

1. Aspekte eines strukturellen Demokratiedefizits

 

Ohne einheitliches Staatsvolk, so sagen die Kritiker des strukturellen Demokratiedefizits, fehle es der EU … an … demokratischer Legitimation.

 

 

 

1.1. Für ein solches strukturelles Demokratiedefizit spricht zum einen, dass die Unionsbürgerschaft keine eigene Staatsbürgerschaft ist, sondern die nationale Staatsangehörigkeit nur ergänzt.

 

1.2. Zudem machte das BVG im Lissabon-Urteil klar, dass die EU kein Bundesstaat ist, sondern ein Staatenbund souveräner Einzelstaaten. Ausschlaggebend ist dabei, dass EU-Parlament nicht ausreichend demokratisch legitimiert ist (vgl.: 2.3.).

 

1.3. Außerdem fehle eine gesamteuropäische Öffentlichkeit. Die Vielfalt der Sprachen und das Fehlen „europäischer Medien“ lasse keinen gesamteuropäischen politisch-öffentlichen Diskurs zu.

 

Gegenkritik: Was nicht ist, kann ja noch werden. Könnte man z.B. bei Europawahlen transnationale Listen wählen, so wäre eine gesamteuropäische Öffentlichkeit möglich, wie alle Bürger im Wahlkampf über die gleichen Themen reden.

 

 

 

2. Aspekte eines institutionellen Demokratiedefizits

 

Auch der Einfluss und das Zusammenspiel der EU-Organe ist Gegenstand der Kritik. Demnach liege ein institutionelles Demokratiedefizit in den Mängeln der EU-Institutionen begründet.

 

2.1. Kritisiert wird zum einen, dass die Mitglieder von Kommission und Ministerrat nicht direkt von den Bürgen gewählt, sondern von den nationalen Regierungen bestimmt werden.

 

Gegenkritik: Aber die die nationalen Regierungen sind durchaus demokratisch legitimiert.

 

2.2. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass weder das Europäische Parlament, noch der Rat aktuell ein Initiativrecht für EU-Gesetze besitzen. Dieses liegt allein bei der Kommission.

 

Gegenkritik: In der Realität spielt diese formale Regel jedoch keine bedeutende Rolle mehr, Normalerweise wird jeder Gesetzesanfrage des Parlaments oder des Rates von der Kommission entsprochen.

 

2.3. Ein dritter zentraler Kritikpunkt ist das verletzte Prinzip der Wahlgleichheit (one person one vote) bei Europawahlen.

 

Im … Lissabon-Urteil bekräftigt das Bundesverfassungsgericht, dass die Wahlen zum EU-Parlament nicht dem Prinzip der Wahlgleicheit entsprechen.

 

Dieses resultiert daraus, dass die Sitze im Europäischen Parlament nach dem Prinzip der „degressiven Proportionalität“ vergeben werden.

 

Dementsprechend haben kleine Mitgliedstaaten mehr Abgeordnete pro Einwohner als größere Länder, die Wahlen entsprechen nicht dem demokratischen Grundsatz der

 

Wahlgleichheit.

 

Gegenkritik: Einerseits gilt: Das Prinzip der degressiven Progression schützt die Rechte kleinerer Staaten.

 

Andererseits wird der Kritik entgegengehalten, dass ähnliche Verletzungen des Wahlgleichheits-Prinzips auch in anderen demokratischen Staaten akzeptiert werden.

 

Prinzipiell entstehen diese immer durch unterschiedliche Bevölkerungsgrößen von Wahlkreisen, so auch in Frankreich, Großbritannien, den USA oder Deutschland.

 

Auch im Bundesrat gilt das Prinzip der degressiven Progression.

 

 

 

2.4. Kritisiert wird auch das Instrument des informellen Trilogs. Informelle Triloge sind Verhandlungen zwischen den drei am Gesetzgebungsprozess der EU beteiligten Organe  der Kommission, dem Rat und dem Parlament.

 

Sie erlauben es den Organen (abweichend vom Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren) in jeder Phase des Gesetzgebungsprozesses Einigungen zu erzielen. An den Treffen nehmen maximal zehn Personen teil. Die nicht öffentliche Verhandlungsführung im kleinen Kreis erschwert den nicht eingebundenen EP-Abgeordneten sich zu beteiligen. Dies schwächt die Rolle des Europäischen Parlaments erheblich, da seine Funktion als repräsentatives Demokratieorgan nicht mehr gewährleistet ist.

 

Gegenkritik: Befürworter der Trilogverhandlungen betonen die erhöhte Effizienz und Beschleunigung des Verfahrens.

 

Vgl.. https://de.wikipedia.org/wiki/Informeller_Trilog

 

 

 

2.5. Im Fokus der Kritik steht zudem die Europäische Kommission. Sie wird als Bürokratie verschrien, die in die Einzelheiten des Alltags der Bürger hineinregieren wolle. Kritiker nennen oft abstruse Beispiele (wie die Gurkenkrümmungsverordnung, die inzwischen nicht mehr gilt!). Man muss auch sehen: In der öffentlichen Diskussion erscheint die Kommission oft als bürokratischer Schurke

 

Gegenkritik: a) Jede Bürokratie neigt zur Überregulierung, nicht nur die in Brüssel,

 

b) Die Kommission trifft die Entscheidungen nicht alleine, die EU-Mitgliedstaaten sind daran beteiligt. So war auch die Gurkenkrümmungsverordnung eine Idee der EU-Mitgliedstaaten.